Wissenschaft, Politik und Gesellschaft
Rebecca Lea Korinek
Erste Jahrestagung des WZB-Mercator-Forums Wissenschaft und Politik „Expertise im Nexus“ am 5. und 6. Dezember 2016, organisiert von Dagmar Simon, Holger Straßheim, Martina Franzen, Rebecca Lea Korinek, Andreas Schäfer und Nathalie Wachotsch (Forschungsgruppe Wissenschaftspolitik) in Kooperation Felix Streiter und Jeannine Hausmann (Stiftung Mercator)
Angesichts neuer Herausforderungen wie dem Klimawandel, der Digitalisierung oder dem demografischen Wandel wachsen die Erwartungen von Politik und Gesellschaft an die Wissenschaft. Die Veranstaltungsreihe möchte dem Wandel im Verhältnis von Wissenschaft und Politik nachgehen. Dazu veranstaltet das WZB in Kooperation mit der Stiftung Mercator von 2016 bis 2018 einmal jährlich ein Forum mit unterschiedlichem Themenschwerpunkt. Die WZB-Mercator-Foren sollen möglichst heterogene Perspektiven aus Wissenschaft, Politik, Wirtschaft und Zivilgesellschaft zusammenbringen.
Das Ziel der ersten Veranstaltung war es, neue Formen von Expertise in der Verbindung unterschiedlicher Politikfelder wie der Umwelt-, Energie-, Verkehrs- und Verbraucherpolitik zu diskutieren. In den Diskussionen kristallisierten sich zwei Sichtweisen auf das neuartige Zusammenspiel von Wissenschaft und Politik heraus. Die eine Sichtweise sieht Probleme im Nexus der unterschiedlichen Felder vor allem als Folge des hohen Grads an Komplexität. Expertisen und Gegenexpertisen aus unterschiedlichen Disziplinen oder Denkschulen widersprechen sich. Die besten Strategien gegen daraus erwachsende Wissensunsicherheiten sind das systematische Zusammentragen und Bewerten unterschiedlicher Daten- und Wissensbestände sowie das Erstellen von Metastudien. Diese Problemrahmung ist also mit einem additiven Verständnis von Expertise verbunden: Unterschiedliche Disziplinen tragen ihr Wissen über Problemursachen und Folgen bestimmter politischer Entscheidungen zusammen. Die Sozialwissenschaften werden insbesondere in ihrer Expertise zu Akzeptanzfragen von Transformationsprozessen gebraucht.
Die andere Sichtweise auf Nexusprobleme stellt Deutungsdivergenz und Nichtwissen ins
Zentrum. Diese Grundkonstanten ergeben sich zwangsläufig aus den unterschiedlichen räumlichen Handlungsebenen (lokal bis transnational), den großen zeitlichen Skalen sowie aus unvorhersehbaren Dynamiken. Aus dieser Perspektive gibt es nicht „einen Nexus“, sondern viele „Nexus“, die je nach Handlungskontext und Problemperspektive variieren. Dies impliziert inkommensurable Expertisen. Akteure und Technik produzieren zudem überraschende Interaktionen und nicht intendierte Effekte. Das so entstehende (unbekannte) Nichtwissen entzieht sich etablierten Verfahren der Kosten-Nutzen-Bewertung und der Simulation. Zentral ist aus dieser Sicht die Koproduktion von Fakten, Technik, Interessen und normativen Erwartungen. Der oben angesprochene additive Wissensmodus wird als strukturell begrenzt betrachtet. Aus dieser Problemperspektive geht es um das Mapping unterschiedlicher Problem- und Lösungsperspektiven und die Beteiligung der Zivilgesellschaft. Anstelle der durch sozialwissenschaftliche Expertise vermittelten indirekten Vertretung sollen hier Bürger/-innen als „Expert/-innen ihrer Lebenswirklichkeit“ beteiligt werden und ihr Erfahrungswissen einbringen. Ebenso sollen die Interessen, Problemperspektiven und Erwartungen der organisierten Zivilgesellschaft und anderer Interessensgruppen systematisch in die Wissensproduktion integriert werden. Die Einbindung der Zivilgesellschaft wird dabei als besonders voraussetzungsvoll erachtet; so zeigen doch die Erfahrungen mit herkömmlichen Modellen und Verfahren, dass diese oftmals nur zur nachträglichen Akzeptanzbeschaffung einbezogen werden. Zentral für dieses Modell ist darüber hinaus, dass Beratungsprozesse mit einer sozialwissenschaftlichen Begleitforschung verknüpft werden, die Meta-Analysen zum Prozess liefert und Vorschläge zur Änderung des Settings unterbreitet.
Unter den Teilnehmenden bestand weitgehender Konsens darüber, dass eine Kartografie der Politikberatungslandschaft im Nexus verschiedener Politikfelder, welche die impliziten Problemrahmungen und normativen Hintergründe unterschiedlicher Modelle herausarbeitet, eine praxis- wie forschungsrelevante Aufgabe darstellt. In der immer stärker werdenden Verflechtung von Klima-, Energie-, Verkehrs- und Verbraucherpolitik existiert zwar eine ausdifferenzierte Landschaft von klassisch linearen Modellen wissenschaftlicher Politikberatung und stärker stakeholderorientierten Formaten. Die Nexustauglichkeit von Expertise wird aber vor allem von der Pluralität der Formate und von der Vernetzung und problemspezifischen Verknüpfung zwischen diesen Formaten abhängen.